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Was mache ich heute?
Oktober 2020
Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben’, dove andrò...
singt Orpheus.
Ob Euridice und Orpheus sich in ihrer antiken Zeit schon Gedanken über die Ressourcen der Natur, über den Verbrauch der Lebensmittel und den Warenkreislauf machten? Wir wissen es nicht. Max Weber nannte das alte Griechenland auf Grund seiner geografischen Bedingungen, seiner zahllosen Gebirge, eine Küstenkultur. Die Lebensform richtete sich nach dem Ausbau des Ackerbaus immer mehr auf die Polis (Stadt) aus. Denn es gab zu wenig Siedlungsland: Auswandern war besser, als ständig einander zu überfallen. Handel und Handwerk boten Chancen. Nach und nach entstand auch Wettbewerb – und zu Beginn des siebten Jahrhunderts – für damalige Verhältnisse – eine „Massenproduktion“ an Gebrauchsgütern für den Export: ein Beispiel sind die Tonvasen, die bei Ausgrabungen im Marnetal, in Frankreichs und in der russischen Steppe gefunden wurden. In diesen Amphoren) wurden Wein und Oliven exportiert. Darauf hatten sich viele Bauern Attikas spezialisiert.
Ein Leben als männlicher Bürger! in einer der rund siebenhundert griechischen Poleis war das Beste, was Menschen = Männern damals widerfahren konnte. In den Anfängen der Stadtgründungen, solange die Zahl der Sklaven noch unbedeutend blieb, ermöglichte die griechische Polis – unter Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben – für fast die Hälfte ihrer Bevölkerung ein mehr oder minder selbstbestimmtes Leben. Die männlichen Bürger konnten nicht nur über ihre kleinen Privatverhältnisse selbst entscheiden, sondern auch über die politischen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens und Handels mitreden.
Aber dieser glückselige Zustand für Männer dauerte nicht lange. Da die Sklavenarbeit einen wachsenden Anteil an der Gesamtarbeit ausmachte und zwingend notwendig für die Warenproduktion wurde, war bald jeder Bauer und jeder Handwerker bei Strafe des Ruins gezwungen, ebenfalls Sklaven für sich arbeiten zu lassen, um auf dem Markt zu bestehen.
Die Sklavenarbeit untergrub die weitgehende Homogenität der frühen Polisgesellschaften, die vor allem auf der Kooperation der Bauern untereinander beruhten. Ökonomisch sichtbar wurde die Auflösung der Polisgemeinschaft am wachsenden Vermögen der Reichen und an der sozialen Differenzierung der Polisgesellschaft.
Bei Göttern, Nymphen und anderen legendären Himmelswesen ging es zwar anders zu, aber Euridice und Orpheus waren mit ihren Leben mitten in der griechischen Gesellschaft. Sie mussten einkaufen, kochen, essen, wohnen, singen oder Bäume umarmen. Bleibt also die Frage, ob sie sich Gedanken machten, dass weniger Verbrauch mehr Zukunft bedeuten könnte. Dass Schonung der Ressourcen durchaus Wachstum ermöglichte. Oder war ihnen alles egal, weil irgendwann die Welt sowieso untergehen, im Hades versinken oder sich im Himmel auflösen würde? Weil die Götter das Sagen hatten?
Wie denken wir? Lassen wir uns erst durch Krisen für einen Wandel unseres Konsums und Verhaltens gewinnen? Wie jetzt - 2020 – die Pandemie, das Klima - die Griechen kämpfen als Küstenstaat mit der Erbarmungslosigkeit der reicheren Binnenländer, die mit Diktatoren um Flüchtlinge schachern und Millionen bezahlen, damit die fern ihrer Länder in Lagern bleiben? Bedeutet eine Wende zu anderem Verbrauch und Nutzung der Ressourcen wirklich niedrigere Löhne, Arbeitslosigkeit, Armut? Müssen wir verhungern, wenn das Land anders bestellt wird, wenn insgesamt weniger produziert wird? Ist eine Mäßigung des Wirtschaftens und Produzierens und Verbrauchs möglich? Viele Fragen, wenige Antworten in Sicht. Und auch wenige Diskussionen über unsere Zukunft. Immer wieder wird einfach mit Milliarden agiert, mit der nackten Wachstumsidee: mehr Dax, mehr Export, mehr Schweine, mehr Grillwürste, mehr Straßen, mehr Autos.
Ein erster Schritt: andere Arbeits- und Unternehmensformen, Begrenzung des Maximalbesitzes an Natur, Land, Immobilien. Bei der Abwägung von Nutzen und Kosten wirklich alle anfallenden Kosten auflisten: Wie teuer ist dann Atomstrom, Braunkohle oder billiges Schweinefleisch? Neue Fragen müssen wir stellen, jenseits der politischen Parteien und ihrer Schubladen. Dann bekommen wir neue Antworten. Dann gibt es nicht mehr Freund und Feind, sondern eine Diskussion, die uns allen ein Überleben auf dieser Erde sichern könnte. Dann sind Lastenfahrräder oder Reparaturcafés ein konstruktiver Baustein. Und Tempo 130 auf Autobahnen, sowie eine Begrenzung der PS bei Autos. Wer braucht 158 PS?
Euridice und Orpheus hatten ihr Leben, ihren Auftritt, ihre Legende. Was soll von uns bleiben? Unvernunft, Dummheit, Größenwahn? Protzerei und Pöbelei? Vielleicht nimmt Gott sonst doch am achten Tag die Erde, presst sie zu einer Scheibe und wirft sie in eines der schwarzen Löcher im Weltall -
Was wünsche ich mir?
Dass wir alle einigermaßen durch diese Pandemie hindurchkommen. Dass wir in diesem Land begreifen, im Ganzen und als Bürgerinnen welche Verantwortung wir haben.
Was tue ich?
Ja, schreiben. Die Steuererklärung mit Umsatzsteuer steht an. Endgültig. In den Herbst schauen mit seinen Blüten, Sonnenblumen, Dahlien, Astern, Rosen. Mit den bunten Blättern und fallenden Goldtalern. Mich freuen, dass Iris Noelle-Hornkamp mich zur Literaturline eingeladen hat. Dass sie mir die Zugbilder ihrer Reisen zur Verfügung stellte für das Projekt: Nachtzüge – Gedichte und Verlorene Zettel. Mich freuen, dass die Satzfahnen des Kriminalromans „Der Mann ohne Hände“ beim Verlag sind. Mich freuen, dass es Freundinnen und Freunde, gute Nachbarn und Familie gibt.
Und: Ihr wisst schon, dass bald wieder Weihnachten ist. Und danach – geht alles von vorne los, aber vielleicht gehen wir mal neue Wege. Tap tap – auch im Denken.
Jay