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Che Faro
Was mache ich heute?
Dezember 2002
"Als ich einundzwanzig war, ließ ich mir mein Erbteil auszahlen, ging damit nach Paris und brachte es ohne besondere Mühe in ganz kurzer Zeit an die Frau. Mein leitender Gedanke bei dieser Handlungsweise war: ich wollte das Leben das Leben aus der Perspektive eines eigenen Wagens, einer Opernloge, eines ungeheuren teuren Bettes gesehen haben. Hiervon versprach ich mir literarische Vorteile. Bald stellte sich aber ein Irrtum heraus. Es nützte mir nämlich nichts, dass ich alles besaß: ich fuhr fort, es mir zu wünschen. Ich führte das sinnenstarke Dasein wie in einem Traum, worin man weiß, man träumte, und nach Wirklichkeit schmachtet. Ich schritt an der Seite einer schicken, ringsum begehrten, mir gnädigen Dame nur wie neben den zerfließenden Schleiern meiner Sehnsucht... Wenige Tausende lagen noch in meiner Brieftasche..." Schreibt Heinrich Mann in seinem Drei-Minuten-Roman.
Als ich ein Mädchen war, da träumte ich davon für ein Erbe aufgerufen zu werden und aus einer Opernloge zu schauen, in einem großen Bett zu liegen. Nicht allein. Aber mit wem genau, dass wusste ich noch nicht. Da waren noch keine Bilder. An Literatur habe ich nicht gedacht und eine mir gnädige Dame oder einen mir zugewandten Herrn kannte ich noch nicht, aber ich hatte ja auch keine Tausender in den Taschen. Nur die Groschen vom fortgeschafften Altpapier, vom Taschengeld. Und geträumt habe ich, tags und nachts und immer zu, auch wenn keine Zeit war wie in der Schule oder wenn Erwachsene mit mir sprachen: ich habe geträumt und mir gewünscht, dass ein Herr oder eine Dame ruft.
Als junge Frau dachte ich, die Liebe darf keinen Grund haben, weil sie dann vergeht, wenn sie einen Grund hat. Und heute weiß ich und fühle, jede Liebe hat einen Grund, da müssen keine Tausender auf dem Tisch liegen, das kann ein Duft sein, das Gesicht des anderen, die Hände, die Klugheit. Oder dass ein Mensch mich begehrt und will und liebt. Oder das mich eine Dame oder ein Herr braucht. Vergeht die Liebe, wenn der Grund weg ist? Nur Sehnsucht macht das Suchen erfolgreich, sagt Albert Einstein. Und die Sehnsucht vergeht mir nie, also suche ich lange bei dem Herr oder der Dame, die ich liebe und möchte immer noch zu einem Erbe aufgerufen werden und in einer Opernloge sitzen und genießen und schauen. Und schreiben. Denn das mache mit meiner Sehnsucht zu aller erst: schreiben, immer weiter schreiben und Welt erfinden, eine Menschenoper mit Liebe nach der anderen.
Und sonst? Einer Finanzbeamtin in endlosen Zahlenkolonnen beweisen, dass ich seit 1997 nicht so viel verdient habe, wie sie mir aufgelistet hat, dass ich verdient hätte.
Allen, die ich kenne, frohe Tage und nächstes Jahr werden wir uns nicht in Jerusalem wiedersehen, aber wieder anschauen doch hoffentlich - aus guten und klugen und schönen Gründen. Vielleicht wird es Zeit eine Opernloge zu mieten. Und die letzten Tausender in die Jackentasche zu schieben.
J.