J. Monika Walther
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Was mache ich heute?

Juni 2012

Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben', dove andrò...

Es gibt keinen Euridice- und auch keinen Orpheus-Koog in den schleswig-holsteinschen Marschen. Auguste-Viktoria, Friedrich, Wilhelm, Sophie und andere preußische und dänische Adelige, Herrscher und Amtsinhaber gaben einem Koog nach dem anderen, dem Neuland, den Kohlfeldern ihre Namen. Es gibt auch keine Schafe, die als Orpheus oder Euridice verkleidet, ein Ehedrama aufführen. Aber was weiß ich, was ein Schaf denkt, während es mich anschaut und seinen Mähtango trippelt.

Die vielen hübschen namenlosen und mähenden Schafe treten die Erde der Deiche fest, fressen Gras und Kohl und werden geschlachtet zu neunzig Prozent als Lammfleisch in die Türkei verkauft (importiert wird dann Lamm aus Neuseeland). Eine Landschlachtereien und Bauernläden bieten einheimisches Lammfleisch an (es gibt auch Lammwochen im Sommer). Auf den Speisekarten in Büsum, Friedrichskoog, Meldorf und anderswo stehen neben Schollen und Seezungen Deichhaxen vom Lamm mit Ratatouille vom Kohl und das erinnert an Bigos, aber schmeckt anders sehr gut.

Vor zehntausend Jahren, am Ende der letzten Eiszeit, waren weite Teile der heutigen Nordsee festes Land und die Menschen konnten trockenen Fußes ins heutige England einwandern. Bis vor achttausend Jahren gab es eine durchgehende Landbrücke von England bis Dänemark und Deutschland. Die Themse war ein Nebenfluss des Rheins. Dann stieg der Meeresspiegel immer höher und es kam die Zeit der Sturmfluten: Die große kimbrische Sturmflut 340 vor Christi – und dann verheerende Fluten im 13. und 14. Jahrhundert, eine nach der anderen. Das große Menschen-Ertränken mit Zehntausenden von Toten. Und: Die Fluten rissen Land mit sich, schwemmte riesige Gebiete. 1362 ging auch das sagenumwobene Rungholt unter. Zu den Legenden um Rungholt, das Atlantis der Nordsee, zählt auch, dass bei ruhigem Wetter seine Glocken unter der Wasseroberfläche zu hören seien und dass die Stadt unversehrt alle sieben Jahre in der Johannisnacht aus der Erde auftauche. Ähnliche Legenden ranken sich auch um andere untergegangene Orte wie Vineta. Wahr ist aber, dass von dem Festland nicht mehr blieb als Halligen und Pellworm, dass bis zu Zweihunderttausend Menschen bei den Groten Mandränken umkamen. Aber auch in den folgenden Jahrhunderten wurden Ländereien, Land, Inseln überflutet, starben tausende von Menschen, versanken Dörfer und Kirchen im Wattenmeer. Der letzten schweren Flut von 1976 hielten die neuen Deichanlagen stand.

Und wovon lebten die Leute im Dithmarschen. Über Jahrhunderte ernährten diese Nordsee-Anrainer, die keine Bauern waren, sich vom Meer: Sie plünderten gestrandete Schiffe (die Seekarten waren schon bei Erscheinen veraltet und es hatten sich neue Sandbänke gebildet, über die Jahrhunderte sanken Tausende von Schiffen im Wattenmeer), fuhren tägliche kleine Fangtouren, fingen Heringe, waren auf Walfangschiffen monatelang im arktischen Meer unterwegs, transportierten Waren. Dazu kam die Salzgewinnung, das graue Salz wurde nach Skandinavien verkauft (zum Einlegen der Stockfische), aber dann taugte das alles nicht mehr viel zum Überleben: Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wanderten die Nordfriesen, Eiderstedter nach Amerika aus, nur die Dithmarschen blieben und exportierten Getreide.

Vielleicht läutet Orpheus ja die Glocken von Rungholt und Euridice gründet die erste Sauerkrautfirma im Disthmarschen. Ich weiß es nicht. Mehr über Schleswig und Holstein, Geschichte und Politik, Robben und Helgoländer Hummer auf dem Blog www.koogschreiber.de.

Ab dem 15. Juli bis 15. August) verlege ich meinen Amtssitz – wie Henning Berkefeld – das Schreibhaus am Weltenrand nennt – nach Friedrichskoog in die Fischersiedlung und schreibe über Luft, Wattenmeer und Nordsee – und über die Familien Grünebaum, Jacobi, Appel, Spiegel Salomon und viele andere Emigranten, Überlebende. 2014 gibt es dann eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Dorsten und ein Feature.

Die Autorin und Kollegin Monika Detering zieht für zwei Wochen in das Schreibhaus nach Ee (Friesland/Niederlande) und beginnt dort einen Blog.

Was wünsche ich mir? Eine gelassene ruhige Zeit in Friedrichskoog. Vielleicht finde ich im Watt Bernstein.

Was tue ich? Immer weiter die Zweiten Internationalen Gespräche der Autorinnenvereinigung e.V. organisieren. Sie finden am 30. Juni 2012 in Berlin, im LCB mit einem wunderbaren Programm und der Verleihung des 3. Projektstipendiums statt.

Und: Das Leben/Schicksal nimmt nichts, was es nicht schon gegeben hat. Ob das stimmt? Könnte sein.

Jay