J. Monika Walther
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Oktober 2019

Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben’, dove andrò...

singt Orpheus. Was wird er tun? Schon im Altertum, also im achten Jahrhundert vor Christus bis zum Ende der griechischen Antike (146 Jahre vor Christus) ging es um Macht, Besitz, Betrug, Mord und Totschlag. In der Argonautensage steht ein Goldenes Vlies im Mittelpunkt, an dessen Raub Orpheus beteiligt war. Nach dieser jahrelangen Irrfahrt durch die griechischen Meere heirateten Euridice und Orpheus. Aber ein Glück war das auch nicht, denn der Sohn Apollos, ein Herr Aristaios, der in den Sagen als Kulturbringen sehr gelobt wird, stellte Euridice nach. Vielleicht war er verliebt. Er vergewaltigte sie. Und wie immer bei den menschlichen Geschichten war und wurde alles kompliziert. Euridice trat versehentlich auf ihrer Flucht vor diesem Mann auf eine Schlange und starb. Ihre Schwestern töteten die Bienen des Aristaios. Vom Ende dieses Mannes überliefert die Sage, er sei eines Tages ohne Anlass verschwunden. In einer Höhle.

So einfach wird das mit Herrn Trump und dem kleinen Boris, mit Erdogan, Assad, mit all den Autokraten und Faschisten nicht. Sie werden nicht von alleine in Höhlen verschwinden. In der BRD haben die Nazis das große Glück, dass selbst junge Politiker nicht gesehen haben, nicht sehen wollen, was im Land seit Langem geschieht: Die Faschisten waren nie weg und sind inzwischen bis hin zu bewaffneten Gruppen gut organisiert. Gleichzeitig bleiben rassistische Hetze, reale und digitale Pöbeleien schlimmster Art straffrei, während die Nazis morden, mit irrsten Verschwörungstheorien und Angstszenarien die Menschen verrückt machen.

Aber wenn es möglich ist, dass ein amerikanischer Präsident die ganze Weltordnung durcheinanderbringt, auch geopolitisch, einschließlich der wirtschaftlichen Entwicklungen. Der die Kurden verrät, weil sie Amerika nicht in der Normandie halfen im Zweiten Weltkrieg. Wenn es möglich ist, dass die Menschen ernsthaft von Klimarettung sprechen, obwohl es doch dem Wetter völlig egal ist, was wir tun oder lassen und es ausschließlich um Menschenrettung geht. Wenn die europäischen Regierungen nicht in der Lage sind, den Spätkapitalismus gemeinsam zu regulieren, also für das Leben und politische Handeln im gesamten Europa (mit Albanien, Nordmazedonien) gemeinsame Regeln zu finden, sondern sich von Autokraten erpressen lassen und immer noch Wachstum predigen. Angst vor Flüchtlingen schüren. Wenn – ja dann werden wir einen weiteren Weltkrieg erleben. Und wenn dieser gierige Kapitalismus zusammenbricht und Faschisten wieder die Macht übernehmen, dann wird selbst die Sache mit dem Klima zweitrangig für einige Jahre.

Was werden wir tun? Allein mit dem Unterzeichnen der hundertsten Petition im Internet ändert sich nichts. Auch nicht wenn wir täglich noch mehr Zeit in den digitalen Blasen verbringen und uns empören. Wir müssen vor die Tür gehen. Mit den Nachbarn reden. Streiten. Zuhören. Einstehen. Uns im Kleinen organisieren, verabreden. Rote Linien ziehen. Rassisten, Hetzer, Mörder, Faschisten sind keine netten Bürger. Sind sie nicht und werden sie auch nicht. Und wenn wir helfen, den Referenzrahmen in die faschistische Vergangenheit zu verschieben, dann sind wir jede und jeder schuldig an den Zuständen und der Zerstörung unserer Demokratie. Warum verlieren so viele Menschen die Achtung und Liebe zu anderen Menschen? Warum halten Menschen sich für besser, schöner, größer als die Nachbarin, den anderen, das Gegenüber, gleich in welchem Beruf?

Keine Jüdin, kein Schwarzer, keine Farbige kann in Deutschland egal in der wievielten Generation, ob mit oder ohne deutschen Pass in Frieden leben. Beruhigt und fröhlich leben. Auch in keiner Community. Man braucht es gar nicht erst zu versuchen. Unvermittelt brüllt immer jemand los: „Unter was für fremde Völker bin ich hier geraten!“ (Weit und breit kein „Fremder“). Oder: „Für die (!) hat die Merkel Geld, für uns nicht“, palavern wohlsituierte Rentner beim Urlaub am Bodensee. Nach einer halben Stunde Sprachlärm und einem Blick nach hinten erfolgt dann: „Das wird man doch noch sagen dürfen.“ Und endlich erwachten wir Umsitzenden und reagierten: „Nein, den Müll darf man nicht sagen. Schämen Sie sich in Grund und Boden.“ Der arme Kellner bekam kein Trinkgeld, wenigstens das konnten wir wieder gut machen.

Und was man alles sagen darf: ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick. Mit dem Geschrei zogen hässliche weiße Männer grölend durch Berlin. Ohne Strafe und Festnahmen. Aber einen NS-Schriftzug mit einem Herz übersprühen wird vom Gericht mit dreihundert Euro bestraft. Bei Edeka Lebensmittel aus der Mülltonne holen, kostet vierhundertfünfzig Euro. Hingegen kann man ungestraft mehrere Milliarden mit CumEx-Geschäften hinterziehen. Im Internet kann man auch die widerlichsten Vergewaltigungsfantasien und Vernichtung von Frauen ausleben. Ungestraft. Ebenso Rassismus und Antisemitismus. Wenn dann wirklich wieder ein weißer einheimischer Mann seine Freundin und ihr gemeinsames Kind umbringt oder einer mit Waffen und Sprengstoff durch die Gegend fährt, einen Regierungspräsidenten ermordet, dann ist er ein Einzeltäter. Ein einzelner Loser. War Adolf Hitler auch mal. Aber es fanden sich dann mehrere von der Sorte zusammen. Eine ganze Nation ging auf Raubzug, bereicherte sich und mordete.

Unerträglich wird in diesem Zusammenhang die Zurschaustellung von angeblicher Betroffenheit. Diese Dackelblicke der Politiker. Die Behauptungen, das war unvorhersehbar, das wussten wir nicht. Die Rassisten, Hetzer und Faschisten sitzen im Bundestag und in den Länderparlamenten. Die Anträge, aber auch die vielen Äußerungen sind öffentlich. Das rechte Terrornetzwerk ist weitestgehend bekannt. Vielleicht ab und an am realen Leben teilnehmen, zuhören. Ein Buch lesen. Zeitungen. Kommentare. Ereignisse wahrnehmen. Jeden Tag gibt es rassistische Vorfälle (das Wort Rasse findet sich immer noch im Grundgesetz, obwohl es keine Rassen gibt), Beleidigungen und Erniedrigungen von Frauen sind üblich und werden innerhalb des gesellschaftlichen Referenzrahmens gefördert. Alles ist gewusst. Fast alles ist öffentlich. Ob Klima, Frauen, rechte Hetze. Ja, Politik ist kompliziert und ja, nur mit Kompromissen können wir miteinander leben. Das ist aber eine demokratische Selbstverständlichkeit. Stattdessen sind egoistische Deals die neue Handelsware. Gewalt. Das Innere spucke ich dem Nächsten vor die Tür. Als rechte Schmuckkarte.

Was wünsche ich mir?

Mal ganz irdisch, dass der Roman von Monika Detering und mir ein Erfolg wird. Wobei mir klar wird, ich habe mich lebenslang nie um Verwertung gekümmert. Ich begann mit den Verlorenen Träumen - Geschichten nach dem Hochzeitslied (bei Kunstmann und DTV). Alles wuchs wie eine Wunderblume. Heute wuselt alles. Das hat mich nie interessiert. Ich wollte immer nur schreiben. Und in einem Widerstand sein. Für Demokratie.

Was tue ich? Die Dorfgeschichten zu Ende schreiben. Die Letzte erzählt vom Marais, vom Sumpfgebiet in Paris.

Und: Eine kleine Kolonie an Meisen aller Arten hat sich wieder angesiedelt. Auch Buchfinken. Zwei Eichhörnchen. Eine Igelfamilie überwintert im Hühnerstall. Rückzugsgebiete jeder Art und für jede Art, also auch für jede Art von Menschen sollten selbstverständlich sein. Benehmen auch.

Jay