J. Monika Walther
Che Faro

Che Faro 2024

Weitere Jahrgänge anzeigen

Che Faro 2023

Che Faro 2022

Che Faro 2021

Che Faro 2020

Che Faro 2019

Che Faro 2018

Che Faro 2017

Che Faro 2016

Che Faro 2015

Che Faro 2014

Che Faro 2013

Che Faro 2012

Che Faro 2011

Che Faro 2010

Che Faro 2009

Che Faro 2008

Che Faro 2007

Che Faro 2006

Che Faro 2005

Che Faro 2004

Che Faro 2003

Che Faro 2002

Che Faro

Was mache ich heute?

März 2009

Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben', dove andrò...

How many lakes did you make in your life now? Dein wievielter See ist das, fragte der Fisch, und der Mezzosopran fragte das auch. Dein wievielter See? Im Bodensee schwamm ich das erste Mal, das war ich das Kind, vor den Alpen und den Trümmern. Dann im La Manche vor Boulogne-sur-Meer, dann im Lake District, in der Nähe von Keswick, dann -

Wer erzählt hier eigentlich?

Wir beide. Nein, mehrere, auch Herr Johnson, heute erzählt auch Herr Johnson. Es ist alles gesagt, sagt er. Und erzählt und schreibt, auch davon: In jener Zeit waren die Menschen ehrlicher und gefühlstreuer. Wenn ihnen das leben nicht gefiel wie es war, erschossen sie sich. Wer tut dergleichen heutzutage? Sagt Stalins Tochter, sagt Herr Johnson. Und erzählt auch, dass in der zweiten Septemberwoche 1967 in Viet Nam 2376 Menschen beruflich am Krieg gestorben sind. Vier Bände Aus dem Leben von Gesine Cresspahl.

Und wer fragt eigentlich immer weiter? Weiß ich nicht. Ja, wenn ich gleich um Rat gefragt hätte, gleich, also gleich nach der Geburt um Rat fragen, aber wen? Meine fröhliche Tante Elisabeth? Sonst war niemand da. Lisbeth Lisbeth. Und um welchen Rat hätte ich dann - so grad auf der Welt - fragen sollen? Wie das so geht mit dem Leben? Woran ich mich orientieren sollte? An den Himmelslinien, an den Fluchtlinien, an meinen Lügen oder denen der anderen? Und wer ist denn nun Schuld an dem ganzen Schlamazel? Erst die Nazis, dann die roten Bonzen, dann – oder doch ganz einfach Straßenwart Ludwig Thiemke, Schlachtermeister Krascinski, Hauptmann Breskow, Vorgesetzter Jägerholz und Polizeioffizier Kruse? Na ja und all die andern. Womöglich ich auch. Und wer will mir da raten? "Wenn es für jetzt wahr ist, dass es gut ist den ganzen Einsatz zu wagen, kannst du die Wüste mit Namen nennen." Schreibt die Dichterin Daniela Danz.

Wer erzählt hier eigentlich? Ich nicht. Ich habe jetzt alle Erzählungen erzählt. Jetzt schreibe ich den Roman "Goldbroiler oder den Traum vom amerikanischen Tod" zu Ende; spielt an der Ostsee, nach der Wende. Von Wismar aus bin ich die Ostseeküste entlang gefahren, schreibend, die alten Kapitänshäuser zeichnend, das Warnemünde von 1990 zeichnend und beschreibend, Müritz, bis Greifswald, Kaminke, bis zur polnischen Grenze entlang gefahren. Habe zugehört im Seehund, habe überall zugehört, den schimpfenden Kellnern und den das neue System verfluchenden Fischern. Alle Zeitungen gelesen, von vielen alten Geschichten über verwanzte Hotels, Spionage im Neptun, Fluchtversuche erfahren und dass Polen zwar die gestohlenen Autos über die Grenze fahren oder an der Grenze abnehmen, dass aber der Diebstahl der Autos im großen Stil von Polizisten und Deutschen begangen wurde.

Und was wünsche ich mir? Ziemlich kleinlaut, dass die zweite OP auch gut geht, dass ich laufen kann, wenigstens gehen, also gut gehen. Angemessen gehen.

Wer erzählt hier eigentlich? Wir beide. Mehrere. Wer weiß vom Gewicht der Seele? Lebender Körper abzüglich toter Körper = Seele? Zwölf Gramm vielleicht?

Am 16. März 1938 erschienen zwei SA-Männer in der Wiener Wohnung von Egon Friedell. Während sie mit seiner Haushälterin diskutierten, sprang Friedell aus dem Fenster im dritten Stock. Den Passanten hatte er noch fürsorglich zugerufen: "Treten Sie zur Seite." Ein Genie war er, der Herr Friedell und schrieb über das Schaltwerk der Gedanken und relativierte nicht.

Und was tue ich heute? Das denke ich mir aus.

Jay