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Che Faro
Was mache ich heute?
Dezember 2008
Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben', dove andrò...
Motorboote dürfen nicht auf dem Silser See verkehren, das war einmal so; und wir alle haben Radio Beromünster gehört, nicht alle, aber schon die Älteren wie ich. Nach dem Krieg, später nach dem Krieg: die ersten Hörspiele, Nachrichten, Radio Beromünster – damals am See, dem Bodensee und in der Schweiz.
Ein zweiter Versuch: Und die Vöglein, die singen und der Mensch, weil er fort geht, nachher kommt er nicht mehr. Und die Vöglein, die singen und der Mensch, weil er fortgeht, weil er fortgeht, nachher kommt er nicht mehr. Nicht mehr, es geht nicht ums Wiederkommen. Ums Fortgehen geht es, also dass der Mensch geht. Über die Berge hinüber oder durch die Ebenen. Nur weil der Mensch fortgeht und die Vöglein singen, nur weil der Mensch fortgeht. Mit mir – mit mir. Oder doch nicht. Oder ich dann. Also fort. Alle fort.
Es ist Juni 2008 und eine wilde Gesellschaft, jenseits von Gut und Böse, feiert den 100. Geburtstag des Hotels Waldhaus in Sils-Maria. Viel Neues gibt es dort und viele alte Spuren sind erhalten, selbst das alte Klavier ist noch da, funktionstüchtig. Clara Haskil spielte, viele Solisten gaben Konzerte im Musiksaal des Hotels. Im Lesesalon, wo einst Hermann Hesse und Thomas Mann miteinander plauderten, befindet sich heute die Bar. Bitte einen Gimlet mit Hendricks Gin. Danke. Hendricks, der kann schon was.
Die Provinz des Geistes wird hiermit im Angesicht der grandiosen Engadiner Alpen und des Piz Corvatsch und der Engadiner Nusstorte für erledigt erklärt und beim vierten Gimlet über die Wahrheit des Waldhauses nachgedacht und die Zukunft der Menschheit.
Ein dritter Versuch: also die Motorboote auf dem Silser See, die nicht gefahren sind; man muss sich das so vorstellen, dass Gäste aus dem Waldhaus auf den See schauten und die Boote sahen, die nicht gefahren sind - vielleicht geht es um das Dasein und Wiederkommen, also Fortgehen, Da sein und Weggehen, Da sein. Und ohne Motorboot über den Silser See fahren, – wie soll das gehen – jetzt muss man wissen, dass ich dort auf dem Weg zum Hotel Waldhaus zu Tode gekommen bin, in einen Abgrund gestoßen wurde – wegen zehntausend Franken und einer Klavierstelle, einer gut dotierten im Waldhaus. Sils Maria. Man kann es nachlesen. Nächstes Jahr, in einem Band Erzählungen. Weil ich davon erzählte, habe ich überlebt.
Etwas ganz anderes: Es stirbt eine Rieneke Antonetta in Broeksterwoude mit 31 Jahren. Es macht ja keiner den anderen glücklich, zeitweise schon – denkt ein Harms, dachte er. Eine Seite Anzeigen über diese besonders liebevolle Frau, die die Frau des Kirchenvorstandes Harms war. Zweieinhalb Jahre waren Rieneke und Harms verheiratet gewesen. Der Herr ist bei Rieneke, alle anderen sind bei Harms, viele Anzeigen lang. Beim Vorsitzenden der Petrusgemeinde. Von Harms selbst ist nichts zu lesen. Zwei Familien und ihre sehr unterschiedlichen Verhältnisse, Stand und Ansehen. Das ist bis heute so.
Sie verstehen das alles nicht, ich schon – auch nicht.
Fangen wir von vorne an: ganz logisch und mit allem Verstand.
Vöglein singen, der Mensch dreht durch. Einsam. Der Mensch nimmt eine weiche weiße Baumwollschnur und erwürgt den einzigen Menschen, der ihn liebt. Er hat ihm oder ihr zuvor ein Geschenk auf den Tisch gelegt, liebevoll eingepackt und verschnürt mit dem weißen Baumwollband. Liegt gut in der Hand. Von hinten müsste man sich nähern und den Hals schnüren. Oder Fortgehen. Oder Dasein. So viel Mut braucht das Leben, so viel. Das bleibt dann auch im Neuen Jahr so.
Was tue ich heute? Die Hälfte dessen, was ich mir vorgenommen hatte und vieles andere, was ich nicht plante, nicht planbar ist. Gibt es einen Guide für den Alltag und das Leben? Ich lasse mich zuweilen leicht von einem Blick, einer Geste, einer Handbewegung durch die Luft, einem zurückgestellten Fuß verwirren und frage mich, warum mein Leben gerade so und nicht anders verlaufen soll. Und warum ich Antworten auf Fragen gebe, die nie gestellt wurden. Aber ich stelle dann Fragen, auf die ich keine Antworten bekommen kann.
Und was wünsche ich mir? Wenn ich jetzt zwei Reisetaschen hätte und eine davon wäre nicht die meine, dann führe ich über den Silser See. Ich habe zwei Reisetaschen und eine ist nicht die meine. Der Himmel schüttet seinen Regen aus und die Sonne. Soll sein –
Jay