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Was mache ich heute?
Juli 2008
Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben', dove andrò...
...der Mensch ahmt nicht dem Vogel seinen Flug, sondern den Flug des Steines nach, schreibt Vlado Kristl 1992. Das nur zu Erinnerung. Und:
"Als Gottfried Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Es waren Stimmen im Raum. Samsas Radio war die ganze Nacht gelaufen. Gottfrieds Blick richtete sich zum Fenster, und das trübe Wetter – man hörte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen – machte ihn ganz melancholisch.
'Was ist mit mir geschehen?' dachte er. Es war kein Traum. Er war Nazi geworden." Der Tag, an dem die Verwandlung stattfand, lässt sich datieren: Es ist der 27. Februar 1933, der Tag des Reichstagsbrandes. An diesem Tag verwandelte sich Dr. Gottfried Benn, der Arzt und Dichter, in einen Nationalsozialisten. Frei nach Kafka.
"Verwandelt sich jemand, der gestern noch ein Arzt, ein Künstler war über Nacht in ein faschistisches Geziefer?" fragt Klaus Theweleit, der Freiburger Literat und Benn-Liebhaber. Und muss einsehen: Es geht.
Es ging. Benn bezeugt es, Benn schreibt an jenem 27. Februar seinem Freund Egmont Seyerlen, ein Schriftsteller, der sich seinerseits in einen Nazi-Kollaborateur verwandelte, der den neuen Machthabern als Spezialist für die Enteignung von Gewerkschaftsvermögen zur Hand ging: "Die Revolution ist da, und die Geschichte spricht. Wer das nicht sieht, ist schwachsinnig. Dies ist die neue Epoche des geschichtlichen Seins, über ihren Wert oder Unwert zu reden, ist läppisch, sie ist da." Ein zufriedener Benn, eine Kapitulation. Keine Distanzierung: "Es ist der Moment, in dem der Kunst-Pol ins Feuer fliegt", so Theweleit. Der Moment auch, in dem sich Gottfried Benn, "Dr. Orpheus", an den Machtpol ankoppelt und auf die Kollaboration mit dem Nazi-Staat einlässt. So, wie sich auch Knut Hamsun an den Nazi-Machtpol anschloß. So, wie sich andere mit anderen Machthabern einließen - Ezra Pound mit Mussolini, Elvis Presley mit Richard Nixon, Andy Warhol mit den Konzern-Mächten von Campbell's bis Mercedes-Benz.
Theweleit erzählt in "Orpheus am Machtpol", dem zweiten Band von "Buch der Könige", jenem monumentalen "work in progress", Geschichten darüber, wie und warum Künstler-Könige den Kunst-Pol aufgeben und auf den Weg zum Macht-Pol driften. In Theweleits Diktion: vom Narziss über den Narcotic zum Nazi. Gegen alles Block- und Lagerdenken schreibt er an. Als linker Moralist und dabei hilft ihm der selbst erfundener Begriff, mit dem Theweleit von allem Anfang an operiert: der Begriff des Nicht-Zu-Ende-Geborenen, des unfertigen, ungenügend belebten Körpers, der sich über andere weiterzuentwickeln und zu Ende zu gebären sucht.
In den "Männerphantasien" wurden als solche Nicht-zu-Ende-Geborenen die präfaschistischen Freikorps-Männer eingeführt: soldatische Männer, die ihre Körper übers Militär, durch muskulären Umbau und durch Einpassung in feste Befehlsstrukturen modellierten, sich emotional panzerten gegen die Frau, also gegen die Angstlust am Zerfließen, Entgrenzen und Auflösen, und so zu einem Gefühl von Ganzheit gelangten - durch Ausübung von Gewalt.
Statt über militärischen Drill und Gewalt versucht der Künstler sich über Liebes-, Kunst- oder Machtbeziehungen weiter zu gebären, zu wachsen und sich selbst zu vermehren. Im ersten Band des "Buchs der Könige", untersucht Theweleit am Modell von Orpheus und Eurydike die Paar-Beziehung zwischen Künstlern und ihren Frauen und stellt die These auf, dass Kunst mit Menschenopfern, vorzugsweise mit Frauenopfern, erkauft wird. Frauen, schreibmaschinenkundige, Manuskripte erstellende Diktat- und Aufschreibengel, kurz: Recording Angels, werden dem Hades geopfert, damit Kunst, damit Literatur zustande kommt. Orpheus ist der Überlebende, Eurydike ist das Opfer; er verwandelt Schmerz in Kunst, sie schweigt und stirbt.
Wie notiert Hannah Ahrendt in ihrem Denktagebuch: "'Volo ut sis': Kann heißen, ich will, dass Du seist, wie Du eigentlich bist, dass Du Dein Wesen seist – und ist dann nicht Liebe, sondern Herrschsucht, die unter dem Vorwand zu bestätigen selbst noch das Wesen des Anderen zum Objekt des eigenen Willens macht. Es kann aber auch heißen: ich will, dass Du seist – wie immer Du auch schließlich gewesen sein wirst. Nämlich wissend, dass niemand ante mortem der ist, der er ist und vertrauend, dass es gerade am Ende recht gewesen sein wird."
Was tue ich heute? Etwas bange sein, wie das Leben so läuft. Sicher sein, dass ich vieles verkehrt tat und doch ist eben nicht immer die Freiheit da, sich zwischen oben und unten und noch sieben anderen Wegen zu entscheiden. Zwischen rechts und links, der Mitte und einer Haltung schon.
Und was wünsche ich mir? Buchstäblich, dass ich nach der OP in der ersten Augustwoche wieder auf die Beine komme. Und jetzt – wünschte ich mir ein bisschen sehr leichtes Glück. Ohne all das Verstrickte und das Mächtige. Einen Vogelflug.
Jay