J. Monika Walther
Che Faro

Che Faro 2024

Weitere Jahrgänge anzeigen

Che Faro 2023

Che Faro 2022

Che Faro 2021

Che Faro 2020

Che Faro 2019

Che Faro 2018

Che Faro 2017

Che Faro 2016

Che Faro 2015

Che Faro 2014

Che Faro 2013

Che Faro 2012

Che Faro 2011

Che Faro 2010

Che Faro 2009

Che Faro 2008

Che Faro 2007

Che Faro 2006

Che Faro 2005

Che Faro 2004

Che Faro 2003

Che Faro 2002

Che Faro

Was mache ich heute?

November 2003

Was habe ich gemacht - im Sommer und beginnenden Herbst? Geschrieben, geschrieben, geschrieben. Über Ingeborg Bachmann das Stück:

Wart meinen Tod ab und dann hör mich wieder - Die Lebensart der Ingeborg Bachmann. Über Adolf Hitler und Ludwig Wittgenstein: Bringe eine gelbe Blume - Adolf H. und Ludwig W. - Zwei Linzer Realschüler erklären die Welt.

Und: Das Hörspiel "Schafszorn". Und das beginnt so:

Erzähler:

Eines Tages, sagte Ikarus als er noch ein kleiner Junge war und auf den Namen Hans hörte, eines Tages werde ich wie die Engel fliegen. Das war sein einziger Wunsch an das Größerwerden. Denn der kleine Hans wusste, dass Gott vor Sonne, Mond und Sternen zuerst die Engel geschaffen hatte. Das hatte ihm ein Onkel erzählt, der lange Zeit kreuz und quer in der Welt gereist war. Einer, der die Nasen der Eskimos geküsst hatte und ums Kap Horn gefahren war.

Die Engel, die sehen von vorne aus wie Menschen mit freundlichen Gesichtern, und von der Seite wie Violinschlüssel, hatte der Onkel erzählt. Eines Tages werde ich ein Engel sein, sagte der kleine Hans, denn Engel wissen alle Geheimnisse und sie können fliegen, wohin sie wollen. Niemand kann sie festhalten und einsperren und ihnen sagen, was sie zu tun haben.

Um dieses Ziel zu erreichen, das begriff der Junge sehr schnell, musste er das Schweigen lernen und sich vor allen gutmeinenden Menschen verstecken oder sie mit listigem Lächeln ablenken; denn je gutherziger Menschen sind, um so weniger ahnen sie, was es alles auf der Welt für Geheimnisse gibt, und deshalb wollen die gutherzigen Menschen immer alles gut geregelt wissen.

Wann eines Tages sein würde, das wusste der kleine Junge nicht. Inzwischen war er ein Mann.

Regie:

Musik. Blende. Schafe mit Glöckchen laufen und schreien. Ein Fahrrad fährt über einen Feldweg.

Briefträger:

Die Schuhe krallen in die Füße. Immer kauft die Frau zu kleine Schuhe.

Regie:

singend kommt ihm die Frau entgegen.

Frau:

Was bringst du? Warst gestern nicht hier.

Briefträger:

Jeden Tag komme ich. Jeden Tag, das vergessen Sie mal nicht. Sie sind nur immer mit ihren Gedanken woanders. Heute habe ich wieder einen dicken Brief. Einen Amtsbrief.

Regie:

Je näher sie zum Haus kommen, fiept die Luft wie vom Gläserreiben mit nassen Fingern.

Briefträger:

Was erfindet der Herr heute?

Frau:

Er sammelt Sonnenluft in grünen Glasflaschen.

Briefträger:

Der Herr sammelt Luft in Flaschen? Das muss man können.

Frau

Gestern errechnete er die Quersumme des Planeten Ikarus. Achtzehn! Vorgestern erfand er den schrägfliegenden Drachen, immer den Erdrundungen entlang. Morgen wird er an der Theorie der schwarzen Löcher arbeiten. Einstein hat geirrt. Aber nicht nur er. Auch Adolf.

Briefträger:

Welchen Adolf meinen Sie jetzt? Unsern Trommler? Oder den anderen, der sich nie ohne Armee vor die Tür getraut hat? Aber der Adi geht ja auch nie ohne Trommel aus dem Haus. Und worin hat Ihr Adolf geirrt?

Frau:

Wenn er eine Brücke gezeichnet hat, hat er gedacht, sie wäre gebaut. Das hat er nie unterscheiden können. Für ihn war alles, was er dachte immer schon fertig. Er krizzelte eine Skizze und sie war Weltanschauung in Stein. Und alles was noch gar nicht gebaut und fertig war, hat er gleich mit neuen Plänen ruiniert. Und die Ruinen hat er gleich wieder in Pappmaschee aufgebaut. Da staunen Sie, was ich alles weiß.

Briefträger

Ich weiß nur, das er zum Ende von allem, was er und seine Kumpane angerichtet hat, nichts mehr hat wissen wollen. Er hat das ganze Volk verstoßen. Uns alle. Das habe ich im Fernsehen gesehen. Er hat mehr Angst gehabt als unsereins. Obwohl wir doch immer in den Krieg müssen. Mein Vater war in Afrika. Unser Adi trommelt zum Glück ja nur.

Frau:

Unser Trommler ist Adolf. Wissen Sie das nicht?

Briefträger

Sie müssen doch nicht alles glauben, was geredet wird. Unser Adolf kann doch gar nicht pfeifen. Oder haben Sie ihn schon einmal pfeifen gehört? Herr Ikarus ist doch auch nicht Ikarus.

Frau:

Dann wissen Sie auch nicht, wer ich bin? Es waren schon Reporter hier. Auch meinetwegen. Die haben alles hier gefilmt. Mich auch. Und gefragt, wie es mir geht.

Regie:

Das Fiepen in der Luft wird immer stärker.

Briefträger:

So. So. Davon weiß ich nichts. Ich habe einen Brief für Sie.

Ikarus:

Atmen Sie leise! Es ist heute außerordentlich schwierig, Sonnenluft in die Flaschen zu füllen. Das Licht vibriert und ich habe große Mühe zu sehen, wann die Flaschen gefüllt sind.

Briefträger:

Die Schuhe drücken, Herr. Da muß ich schnaufen. Es kann nicht in allen Kreisen leise geatmet werden

Das habe ich gemacht. Und in die Dichterin Emily Dickinson beginne ich hineinzuschlüpfen und aus ihren Augen in den neuenglischen Garten von Amerherst zu schauen, ihn auszumessen; ihre Gedichte zu zählen. Zu lesen.

Und was mache ich morgen: Ich suche Euridyce oder Euridike. Aber ich bin nicht Orpheus. Und auch nicht Orfeus oder Orfeo.

Ein Herbst, in dem die Blätter leuchten wie ich es noch nicht gesehen haben. Zumindest erinnere ich nicht.

J.