J. Monika Walther
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Mai 2012

Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben', dove andrò...

Euridice versucht seit Wochen einen Termin bei Frau Schröder in Berlin zu bekommen, denn 150 Euro Herdprämie, damit sie selbst und auch keines ihrer Kinder in eine Kita gehen, also auch auf keinen Fall in die BRD einreisen und dort sich bei einer Kita anmelden, das wäre für Euridice und ihre Familie in Griechenland wirklich Geld. In den Weg stellte sich ihr ein Reporter namens Orpheus, der sie nach ihrem Rang auf der Emanzipationsskala befragte. Euridice wusste nicht wie im Blitzlicht der Kameras vor dem Damenministerium für Minderheiten aller Art und Sonstiges zu antworten und sagte tapfer als Griechin: A + B gibt nicht immer C und ein gleichwinkliges Dreieck. Sofort riss Orpheus das Mikrophon wieder vor seinen Mund und begann zu singen, später bereute er das einige Sekunden als wild gewordene Weiber ihn verfolgten und in hoher Stimme rhythmisch skandierten: Wir sind selbst emanzipiert. Frau Merkel sprach in der Tagesschau dann von einem physikalischen und fiskalischen Missverständnis, überreichte Euridice einen kleinen Rettungsschirm und wünschte ihr alles Gute bei der griechischen Kindererziehung.

Ich würde ja gerne ab und an in eine Kita gehen, betreuend oder betreut werdend, will aber auch niemand. Wer will alte Frauen, das wusste sogar schon Marlene Dietrich. Genau genommen will die immer noch niemand ab sechzig. Ja, Iris Berben, Senta Berger, Hannelore Elsner und unser aller Angie, aber sonst werden wir doch unsichtbar. Oder wir müssen schon einen ziemlichen charmanten und charakterlichen Aufwand betreiben, um noch eine oder einen für uns zu begeistern und wer will das wiederum auf Dauer? Diesen Stress.

Hat sich nicht inzwischen alles dem Prinzip des Nützlichen und Gewinnbringenden unterzuordnen? Jürgen Habermas schreibt von der Kolonialisierung aller Lebenswelten. Dieses Denkmuster der Nützlichkeit gefährdet das Prinzip der Solidarität. Und: Sachzwänge werden immer öfter beschworen und führen zu den übergesetzlichen Notständen. Alternativlos, sagt dann unsere Kanzlerin, drückt die Fingerspitzen gegeneinander, lächelt beruhigend. Wie schön wäre es, wenn sie nicht uns Bürger alternativlos beruhigte, sondern den Horst und den Norbert, den Rösler, die Schröder und all die anderen Dilettanten, die da mit ihren Bauklötzchen werfen und gutes Geld verdienen, wenn sie die in eine moderne Kita brächte, damit sie lernen, wie das geht mit den Reformen und den Veränderungen heutzutage. Was sagte vor Jahren eine Ulla Schmidt, die ihren Chauffeur den Dienstwagen bis nach Spanien fahren ließ, damit sie vor Ort dann einen Termin wahrnehmen konnte? (Die Spanier haben ja keine schönen großen Autos zu vermieten). Die Beiträge für die Krankenkassen werden zurückgeführt und nie wieder mehr als 12 Prozent betragen. Ja, die Märchenstunden der Politiker. Das Prinzip des Vertrauens ist auf vielen Ebenen zerstört.

Der Prosaband Sperlingssommer (ISBN 978-3-86685-351-5), 240 Seiten, 12 €, erscheint Anfang August. Der Gedichtband Himmelsleiter dann im Oktober.

Die Seiten der Straße

Windblüten Maschendraht
Gehe links
Rosenbäume Zäune
Gehe rechts
Sehe beide Häuser
Warte in keinem auf mich
schließe ein Auge schaue
mit dem anderen mich an
sammle Sonnenstrahlen
und rosa Wolken
klopfe an zwei Türen
öffne mir bleibe draußen
fange nicht von vorne an
gewinne Zeit
gehe rechts
gehe links
die Straße hinunter
auf Fußspitzen
einen Stein in der Tasche

Was wünsche ich mir? Dass ein geliebter Mensch aus der Welt, in die er mit seinen Sinnen, seinem Kopf und seiner Seele verschwunden ist, noch einmal zurückkommt und sein verschmitztes Lachen zeigt. Dass ich lerne damit umzugehen, dass sich alles in der Familie verändert hat.

Was tue ich? Nicht in die Ferien fahren. Weiter die Zweiten Internationalen Gespräche der Autorinnenvereinigung e.V. organisieren. Sie finden am 30. Juni 2012 in Berlin, im LCB mit einem wunderbaren Programm und der Verleihung des 3. Projektstipendiums statt. Und: Gedichte langsam und laut lesen, korrigieren. Die Arbeit an einem Roman vorbereiten.

Von Mitte Juli bis Mitte August werde ich in Friedrichskoog als die 1. Koogschreiberin leben. Das Onlinetagebuch ist zu lesen unter www.koogschreiber.de.

Und: Ein Pflaumenbaum blüht noch, der Flieder blüht schon und die Blätter der Tulpen öffnen sich immer weiter.

Jay