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Che Faro
Was mache ich heute?
März 2004
Ob alle Schriftstellerinnen das Begehren spüren, zumindest einmal und irgendwann, alle gelernten Grenzen zu übertreten und Unanständiges, Widerliches, Allmächtiges zu schreiben – alles zu schreiben, weil das Hirn doch mehr ist als das All - und wenn ich sie beide – den Kopf und das All - Seite an Seite stelle, was passiert dann? Wird dann die Sprache wütend, klein und reduziert, banal oder bezwingt sie alles, spricht sie von allem, was ist und Menschen tun? Kann sie das?
Günter Kunert: „Weder Menschenliebe noch Güte, weder Altruismus noch Edelmut haben die Kultur hervorgebracht, sondern vielmehr unsere niedrigsten Triebe: Ehrgeiz, Eitelkeit, Geldgier, Egomanie, Unsterblichkeitswahn. Deklarationen des Künstlers, er schaffe für seine Mitmenschen, sind nichts als eine wiederkehrende Alibibehauptung, welche bei näherem Hinsehen sich sogar als Selbstbetrug entpuppt. Der Glaube ist der Lüge Vater, der sein Kind in Unwissenheit über die eigene Herkunft lässt, damit es nicht zynisch werde und somit seine schöpferische Potenz einbüße.“
Die Toten hängen in den Bäumen. Das gibt es, das ist die grausige Wirklichkeit und es ist eine schöne erste Gedichtzeile (Kunert); und doch kann kein Gedicht vom Leiden der gehängten, zugerichteten Toten in den Bäumen berichten, aber von Toten, die in den Bäumen hängen und wie Blätter im Wind schwingen:
Southern trees bear a strange fruit,
Blood on the leaves and blood at the root,
Black bodies swinging in the Southern breeze,
Strange fruit hanging from the poplar trees.
Bäume des Südens tragen eine seltsame Frucht,
Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel,
Schwarze Körper schaukeln in der südlichen Brise
Seltsame Früchte hängen an den Pappeln.
Pastoral scenes of the gallant South,
The bulging eyes and the twisted mouth,
Scent of magnolia sweet and fresh,
And the sudden smell of burning flesh!
Hirtenszenen des galanten Südens,
Die quellenden Augen und der tote Mund,
Süßer und frischer Duft von Magnolien
Und plötzlich der Geruch von brennendem Fleisch!
Here is a fruit for the crows to pluck,
For the rain to gather, for the wind to suck,
For the sun to rot, for a tree to drop,
Here is a strange and bitter crop
Eine Frucht hängt, den Krähen zum Fraß,
Dem Regen ausgesetzt, dem Wind zum Aussaugen,
Der Sonne zum Verrotten, der Baum wirft sie ab.
Eine seltsame und bittere Fruchternte.
„Strange fruit“ – Billie Holiday singt dieses Lied, weil es einmal eine Zeit gab in Amerika, in Florida, da trugen die Bäume seltsame Früchte, da schaukelten schwarze Körper im Südwind an den Pappeln und die weißen Kinder freuten sich in ihren Sonntagskleidern über die gehängten Neger. Familien aus Minesota und Vermont reisten am Wochenende in den Süden, um beim Lynchen dabei zu sein.
Was mache ich: über Orpheus und Eurydike, über das Prinzip Orpheus habe ich geschrieben, jetzt schreibe ich über den Berserker Celine: Reise ans Ende der Nacht und über die Annäherung an das Glück.
J.