J. Monika Walther

Wunschgedicht

Ich wünsche mir die Uhren ohne Zeiger,
die Sekunden als Stunden
und die Nächte mit Sternen.
Ich wünsche mir die schnellen Tage
ohne das hastige Abendläuten der Dome
und den Morgen ohne Abschied und Fahrpläne.
Ich wünsche mir den Rabbi lächelnd und
die Steine gelegt von warmen Händen,
lange gedreht und gehalten, rund und
glatt, neue Geschichten erzählend.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Soll sein, was ist oder bau ich
die Schlösser blauer als blau?

Ich wünsche mir singende Vögel
im schläfrigen Morgengrauen und
kühle Laken in der Mittagshitze.
Ich wünsche mir hundert Eiswürfel in meinem Glas,
saftige Limonenscheiben auf deinem Bauch
und die Sonne aller glücklichen Sommer.
Die Lehrer des Sozialismus tanzen im Schloßhof.
Karl, Rosa und Genossin Namenlos lachen wieder,
kein Plan und kein Soll. Niemand siegt
und kein Gedanke an morgen und später.
Früher und letzte Weihnachten im Sommer
als wir alle Oh du fröhliche sangen und
Tochter Zion nicht vorbeikam, weil die
Heiligen Drei Könige Sturm klingelten
und um Schokolade und Geld für die Armen
bettelten lauthals und einer war schwarz,
ein Flüchtling, aufgenommen und angemalt.
Den haben sie nicht totgeschlagen,
weil sie seinen Namen kannten,
weil er schön und laut sang,
gebenedeit seist du Maria.
So war er einer der ihren.
Ein schwarzer weißer Muslim.

Ich wünsche mir eine langsame Zeit.
Eine Zeit, in der ich die Sekunden zähle,
den Regen trinke und die Augen offen bleiben.
Die Sprache des Betrugs habe ich verlernt,
ich setze Buchstabe an Buchstabe.
Ich öffne meinen Mund. Ich verstehe
A dank. A dank! Ich bin Zuhause,
aber nicht in der Gass und nicht
Daheim. Ich esse keinen gefillten Fisch.
Ich schweige und lache und schreibe
mich auf, ohne Punkt und Komma.
Viele Blätter in alten Koffern versteckt.
Viele Hefte in neuen Kisten verräumt.
Menachem verschreibt sich nie mehr.

Ich wünsche mir keinen,
der zweihundert Brezeln mir
abkauft und mich mit einem leeren Korb
sitzen läßt, ohne Wörter. Ich
wünsche mir einen, der mit
seinen Schritten, die Landschaften abmißt.
Die von gestern, die ich kenne,
die von morgen, in denen ich lebe.

Ich wünsche mir, daß die Grimmigen lächeln
und die immer Freundlichen Schimpfwörter lernen.
Ich wünsche mir einen kleinen Bruder
und eine große Schwester, die beide
an einem Ort wohnen. Zuhause
und Daheim, in ihrer Straße. Und
die Nachbarn grüßen. Ohne Ausnahme
und jeden Tag. Ohne Nachrede und Übelwollen.
Ich wünsche mir eine Reise nach Haifa
und einen Garten in der Wüste,
einen Orangenhain und einen blühenden
Pflaumenbaum, beide an einem Ort wachsend.
Ich wünsche mir keine alten Männer,
die mir befehlen und keine alten Frauen,
die mein Leben, meine Zeichen bössagen.

Ich wünsche mir die Lügen und Märchen
aller Lügnerinnen und Daheimgebliebenen
und daß ich mich nicht herausrede
aus den Wahrheiten, die ich nicht kenne.
Daß ich meine Worte bedenke und lächle.

Ich wünsche mir den Piazolla rückwärts und
Ernst Busch laut singend in meinem Schloßhof,
daß keiner mehr lacht und alle feiern.
Brecht ein Brot und streut Salz.
Was nehme ich mich groß und was
sagt wer über wen. Wünsche ich mir Gutreden.
Ich wünsche mir das Blaue vom Himmel herunter.

Ich wünsche mir die Häuser ohne Mieten,
die Zinsen auf Null und das Ende
der Betrügereien. Genug Geld, aber
wieviel ist genug und genügsam und reichlich
gemessen bemessen an wieviel Geld
im Besitz der Banker und Händler.
Die Bosse schieben mir lächelnd
Kleingeld zu. Großzügig sind sie
nie ohne schlechte Absichten.
Ich wünsche mir die Bahnhöfe
ohne Züge und mich ohne Koffer.
Mein Leben als Hochzeit in der Zeit.
Ohne Erbe und Eltern, mit Eltern
und den alten Geschichten. Erzählt!

Die Ewigkeit muß ich nicht erleben,
meine Zeit feiere ich tanzend um den leeren Tisch.
Dreimal läuten die Glocken den Abend ein,
dreimal gehe ich ums Haus, erkenne
mich nicht wieder und verschließe die Tür.
Der Schlüssel paßt, mein Blick nicht.
Der Sommer ist alt, mein Wortbruch kein Text.
Ich breche mir das Wort
entzwei, also halte ich es niemals?

Ich wünsche mir deinen Traum und
daß ich ihn lebte ohne zu träumen
und aufzuwachen. Ich singe
laut in deinem dunklen Keller.

Ich wünsche mir Schlittschuhe fliegend
übers Eis, daß mein Tag kommt,
vertraut ist die Fremde und
ich bin zu Hause. Die Fische sprechen
und die Vögel jagen die Katze.
Ich wünsche mir meine Zeit
und keinen Preis für die Worte.

Ich wünsche mir den Sommer und keinen Tag
im März. Limonen und Hitze, keine alten
Geschichten und keinen ersten Kuß
geküßt. Ich wünsche mir die Heimat
in der Fremde und die Prinzessin und
den schwarzen König in meinem Bett.
Ich wünsche mir die Callas laut singend
in den siebten Hinterhöfen und die
Erinnerung an das blaue Meer
in der Bucht von St. Pabu.
Ich wünsche mich nicht neben mir.

 

Erstveröffentlichung in Der Tisch Nr. 1, herausgegeben von Ulrike Budde, München 2005

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